A04 - Formfindung, Strukturoptimierung und Systemoptimierung von Flächentragwerken

A: Entwurfs- und Planungsmethodik

Im Zusammenhang mit dem Leichtbau werden, um ein möglichst günstiges Verhältnis von Tragfähigkeit zu Gewicht (bzw. allgemein Leistungsfähigkeit zu Kosten) zu erhalten, häufig mathematische Optimierungsmethoden eingesetzt.

Förderphase II

Die klassische Formfindung von Flächentragwerken beruht auf einem dominanten, formbestimmenden Lastfall. Adaptive Tragwerke bieten aber das Potenzial, eine optimale Form nicht nur für einen einzigen Lastfall bereitzustellen, sondern für eine Vielzahl von veränderlichen Lastfällen stets die ideale Form einstellen zu können. Aus der Formfindung wird Formvielfaltsfindung. Das Teilprojekt verbindet Methoden von Tragwerksanalyse und -entwurf mit Konzepten zur konkreten konstruktiven Realisierung adaptiver Tragwerke im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung als aktives System.

In der ersten Förderperiode hat sich gezeigt, dass aus Redundanzmatrizen – speziellen strukturbeschreibenden Matrizen, die die Verteilung von Redundanzen in Tragwerken quantifizieren – abstrakte Gütemaße abgeleitet werden können, die dabei helfen deren Adaptierbarkeit zu beurteilen. Sie werden in der zweiten Förderperiode auf Flächentragwerke sowie geometrisch nichtlineare und dynamische Probleme erweitert. In Umkehrung der Analyse werden auf dieser Basis inverse Entwurfskonzepte entwickelt, mit denen Matrizen für Tragwerke mit gewünschten Eigenschaften und daraus die Tragwerke selbst abgeleitet werden können.

Bei der Erweiterung konventioneller Formfindungsmethoden auf adaptive Strukturen hat sich gezeigt, dass das Aktuierungskonzept selbst einen entscheidenden Parameter für die Formfindung adaptiver Strukturen darstellt. Durch die Erforschung von Wirkmechanismen möglicher Aktuierungskonzepte für gekrümmte Flächentragwerke konnte eine exzentrische Manipulation der Struktur durch Integration von Aktoren innerhalb einer Rippenstruktur als Erfolg versprechender Ansatz identifiziert werden. Diesen gilt es in der zweiten Förderperiode zur Einbindung in Formfindungsmethoden weiterzuentwickeln. Mit Aktoren ausgestattete Rippen ermöglichen dabei auch mit kleinen Aktorstellwegen eine globale Manipulation des Tragwerks. Des Weiteren werden in der zweiten Förderperiode die Optimierungsstrategien und Zielfunktionen zur Homogenisierung von Spannungsfeldern und Reduktion von Verformungen um die Aspekte der Sicherheit gegen Stabilitätsversagen (Knicken, Beulen) erweitert. 

In Zusammenarbeit mit den Teilprojekten A06, C02 und C07 wird das rippenbasierte Aktuierungskonzept weiterentwickelt. Mithilfe der entwickelten Methoden werden Beispielentwürfe als Funktionsmuster im Labormaßstab realisiert.

Teilprojektleiter:innen

  • Prof. Dr.-Ing. habil. Manfred Bischoff, Institut für Baustatik und Baudynamik
  • Prof. Dr.-Ing. Lucio Blandini, Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren

Förderphase I

Projektbeschreibung

"Ziele des Teilprojekts A04 sind die Weiterentwicklung von Methoden zur Formfindung und Optimierung adaptiver Tragwerke sowie deren Anwendung auf die Stuttgart SmartShell. Der zentrale innovative Aspekt ist die ganzheitliche Systemoptimierung adaptiver Tragwerke (im Gegensatz zur nachträglichen 'optimalen' Adaption zunächst passiver Tragwerke). Für den Optimierungsbegriff muss deshalb zwischen der Optimierung des Systemverhaltens durch Adaption und der Optimierung des adaptiven Systems als Ganzes unterschieden werden. Die Beeinflussbarkeit des Tragverhaltens durch Adaption von Kräften, Verschiebungen und Steifigkeiten ist eine intrinsische Eigenschaft eines statischen Systems, die bislang nicht systematisch erforscht ist. Die Stuttgart SmartShell bietet als Prototyp eines adaptiven Flächentragwerks die einmalige Chance, die im Rahmen dieses Projektes angewandten und neu entwickelten Methoden experimentell zu begleiten."

Quelle: https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/324661605

Formfindung für adaptive Flächentragwerke

Als Formfindung bezeichnet man das inverse Problem der Statik, bei dem innere Kräfte oder Spannungen vorgegeben sind und eine dazu passende Form gefunden wird. Grundlage der bekannten Formfindungsmethoden ist ein formbestimmender Lastfall (in der Regel das Eigengewicht). Vergleichbare Methoden für mehrere Lastfalle oder adaptive Systeme sind bisher nicht hinreichend erforscht. Deren Entwicklung stellt daher ein Forschungsziel dar. Ein weiteres wissenschaftliches Ziel ist es, Formfindungsmethoden auf Systemfindungsmethoden zu erweitern.

Im bisherigen Verlauf der Bearbeitung wurde ein auf der klassischen Kraftdichtemethode basierendes nichtlineares Verfahren so erweitert, dass für räumliche adaptive Fachwerke unter mehreren statischen Lastfällen Gleichgewichtsformen gefunden werden können, die den Tragwerksentwurf charakterisierende Bedingungen berücksichtigen.

Bezüglich der Erweiterung hin zu Systemfindungsmethoden wurde in enger Zusammenarbeit mit Forschern des Instituts für Systemdynamik (ISYS) der Universität Stuttgart die sog. Störgrößenkompensierbarkeitsmatrix entwickelt (Wagner et al. (2018)). Hierbei handelt es sich um eine spezielle lastfallunabhängige Gram'sche Matrix, welche die Eigenschaft eines Tragwerks zur Adaption von Systemzuständen (wie Verschiebungen und Kräfte).

Auf dieser Basis wurde ein Algorithmus zur Platzierung von Aktoren in adaptiven Fachwerken mit dem Greedy-Verfahren, einem heuristischen Optimierungsverfahren, entwickelt. Untersuchungen an Fachwerkmodellen unter statischer Belastung haben ergeben, dass die (theoretisch) bestmögliche Kompensierbarkeit der inneren Kräfte dann erreicht wird, wenn die Anzahl serieller Aktoren dem Grad der statischen Unbestimmtheit des Tragwerks n entspricht und Aktoren in allen Teiltragwerken platziert werden, die Redundanzen aufweisen, d. h. innerlich statisch unbestimmt sind. Zusätzliche Aktoren haben keinen weiteren Effekt auf die Kompensierbarkeit der inneren Kräfte, da der Bildraum der zugehörigen Kompensierbarkeitsmatrix die Dimension n hat (Wagner et al. (2018)).

Optimierungsmethoden für adaptive Systeme

Im Zusammenhang mit analytischen und numerischen Methoden ist eine scharfe Trennung von Formfindung und Formoptimierung nicht möglich. Formfindungsaufgaben können auch als mathematisches Optimierungsproblem formuliert werden. In diesem Kontext wurde in Kooperation mit dem Institut für Technische und Numerische Mechanik (ITM) der Universität Stuttgart eine parametrische Modellreduktionsmethode für geometrisch parametrisierte Systeme hergeleitet und zur effizienten Formoptimierung eines adaptiven Brückentragwerks eingesetzt (Fröhlich et al. (2019)).

Ergebnisse einer Formoptimierung für ein adaptives Rahmentragwerk, siehe Fröhlich et al. (2019)

Ein zentrales Ergebnis dieses Teilprojektbereichs ist die Verifikation der folgenden Hypothese: Die Adaption eines optimierten Tragwerks ist der Optimierung eines adaptiven Tragwerks unterlagen. Das heißt, dass eine aufeinander folgende Optimierung eines Tragwerks und seiner adaptiven Elemente einer integralen Systemoptimierung prinzipiell unterlegen ist. Dies konnte durch analytische Untersuchungen und numerische Berechnungen gezeigt werden (Geiger et al. (IFAC, 2020)).

Optimierung des Lagerabstands eines Rahmenträgers zur Minimierung des Aktuierungsmoments in Geiger et al.

Weiterhin wurden Strategien zum Entwurf und der Optimierung adaptiver Strukturen u. a. hinsichtlich des Masseneinsparungspotenzials erarbeitet (Geiger et al. (BB14, 2020); Geiger et al. (Frontiers, 2020)). Dazu wurden konventionell entworfene Fachwerke unter verschiedenen Nebenbedingungen für den passiven und den aktiven Fall ausgelegt und die nötigen Massen verglichen. Es stellte sich heraus, dass für die untersuchten Tragwerkstypen durch den Einsatz von Aktoren nur wenig Masse eingespart werden kann, wenn maximale Spannungen maßgebend für die Bemessung sind. Sind für die Bemessung dieser Stabtragwerke jedoch Verformungsbeschränkungen maßgebend, so können durch den Einsatz von Aktoren signifikante Massenreduktionen erzielt werden.

Kriterien für die Systemoptimierung adaptiver Tragwerke

In diesem Teilprojektbereich geht es um die (Weiter-)Entwicklung von Kriterien für optimale Formen und Topologien für adaptive und aktivierbare Stab- und Flächentragwerke. Im Sinne einer ganzheitlichen Systemoptimierung wird das adaptive Tragwerk als System aus Struktur, Sensoren und Aktoren betrachtet.

Im bisherigen Verlauf der Bearbeitung wurden Ansätze aus der Regelungstechnik aufgegriffen und die oben genannte Störgrößenkompensierbarkeitsmatrix betrachtet. Für die entwickelte Aktorplatzierungsmethode (siehe oben) wurde eine aus regelungstechnischer und strukturmechanischer Sicht sinnvolle Interpretation der modalen Eigenschaften der Störgrößenkompensierbarkeitsmatrix entwickelt (Wagner et al. (2019)).

Weiterhin wurde das Redundanzkonzept (von Scheven et al. (2020); Geiger et al. (BB14, 2020)) herangezogen. Aus Basis der Analyse der algebraischen Räume der Redundanzmatrix wurden mehrere von der Redundanzmatrix abgeleitete, skalare Gütemaße für die Adaptierbarkeit von Kraftzuständen bei statischem Verhalten erarbeitet. Diese wurden anschließend einem am Institut für computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) der Universität Stuttgart entwickelten agentenbasierten System zur explorativen Generierung adaptiver Stabtragwerke zur Anwendung gebracht.

Visualisierung von lokaler und globaler Informationen zur Adaptierbarkeit

Veröffentlichungen

BENJAMIN FRÖHLICH, JAN GADE, FLORIAN GEIGER, MANFRED BISCHOFF AND PETER EBERHARD. Geometric element parameterization and parametric model order reduction in finite element based shape optimization. Computational Mechanics, 63. 2019. DOI: 10.1007/s00466-018-1626-1

JULIA LAURA WAGNER, JAN GADE, MICHAEL HEIDINGSFELD, FLORIAN GEIGER, MALTE VON SCHEVEN, MICHAEL BÖHM, MANFRED BISCHOFF AND OLIVER SAWODNY. On steady-state disturbance compensability for actuator placement in adaptive structures. at – Automatisierungstechnik, 66. 2018. DOI: 10.1515/auto-2017-0099

MALTE VON SCHEVEN, EKKEHARD RAMM AND MANFRED BISCHOFF. Quantification of the Redundancy Distribution in Truss and Beam Structures. International Journal of Solids and Structures, 2020. (under review) 

FLORIAN GEIGER, JAN GADE, MALTE VON SCHEVEN AND MANFRED BISCHOFF. Optimal Design of Adaptive Structures versus Optimal Adaptation of Structural Design. Proceedings of the 21st IFAC World Congress in Berlin, 2020.

FLORIAN GEIGER, JAN GADE, MALTE VON SCHEVEN AND MANFRED BISCHOFF. Anwendung der Redundanzmatrix bei der Bewertung adaptiver Strukturen. Tagungsband zur Fachtagung Baustatik-Baupraxis 14, 2020. Link: https://elib.uni-stuttgart.de/handle/11682/10779

FLORIAN GEIGER, JAN GADE, MALTE VON SCHEVEN AND MANFRED BISCHOFF. A case study on design and optimization of adaptive civil structure. Frontiers in Built Environment, 2020. Link: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fbuil.2020.00094/abstract, DOI: 10.3389/fbuil.2020.00094

 

Teilprojektleiter:innen

  • Prof. Dr.-Ing. habil. Manfred Bischoff, Institut für Baustatik und Baudynamik
  • Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. Dr. h.c. Werner Sobek, Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren

Ansprechpersonen

Dieses Bild zeigt Arka Prabhata Reksowardojo

Arka Prabhata Reksowardojo

Dr.-Ing.

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

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Axel Trautwein

M.Sc.

Doktorand

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